Zum 1. Januar hat turnusmäßig Belgien die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Im Programm für die belgische Ratspräsidentschaft liest man einen hoch interessanten Satz:
„Die EU muss eine Vorreiterrolle bei der Schaffung eines nachhaltigen, innovativen und widerstandsfähigen digitalen Ökosystems übernehmen, das die Bürger:innen stärkt und den Unternehmen zugutekommt.“
Was steckt dahinter und was bedeutet es für die digitale Verwaltung in den europäischen Staaten?
Die Zielsetzung ist im Kontext der „Digitalen Dekade“ zu verstehen, die die EU-Kommission für die 2020er-Jahre ausgerufen hat. In diesem Artikel werfen wir einen Blick hinter die europapolitischen Kulissen und schauen genauer hin, welche strategischen Ziele sich die EU gesetzt hat und welche wichtige Rolle auch die deutsche Verwaltungsdigitalisierung dabei spielt.
Europa zum digitalen Vorreiter machen
Hintergrund des Digitale Dekade getauften Programms, das aus strategischen Plänen, zentralen Regulierungsvorhaben und konkreten Förderprogrammen besteht, ist das Ziel, Europa auch langfristig auf internationalem Parkett wettbewerbsfähig zu halten. Denn Player wie China, Indien oder die USA haben sich teilweise Vorsprünge bei der digitalen Transformation ihrer Wirtschaft, ihres Staatswesens und ihrer Gesellschaft erarbeiten können.
Was zunächst nach weit entfernter Geopolitik klingen mag, hat auch für den Alltag europäischer Bürger:innen und Unternehmen direkte Auswirkungen. Denn im Rahmen der digitalen Dekade hat sich die EU konkrete Ziele in mehreren Bereichen gegeben, die sie regelmäßig bewertet und mit gezielten Maßnahmen fördert:
- „Digital skills“,
- „Digital transformation of businesses“,
- „Secure and sustainable infrastructures“ und
- „Digitalisation of public services“.
An dieser Stelle möchten wir vor allem auf letzteren Bereich näher eingehen. Für digitale Public Services sind im Rahmen der digitalen Dekade vier zentrale Ziele gesetzt, die so geradlinig wie ambitioniert sind:
- Bis 2030 sollen 100 % der Verwaltungsdienste für Bürger:innen digital zur Verfügung stehen,
- Unternehmen sollen ihre Kontakte mit der Verwaltung EU-weit 100 % digital abwickeln können,
- 100 % der Bürger:innen sollen digitale Identitäten nutzen können und
- Gesundheitsdaten sollen zu 100 % digital zugänglich sein.
Die digitale Verwaltung als zentraler Hebel
Digitale Verwaltungsdienste spielen also eine große Rolle bei der digitalen Transformation der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Denn der digitale Zugang zu Verwaltungsleistungen ist nicht zuletzt ein wirtschaftlicher Standortfaktor.
Unternehmen wie Bürger:innen sollen in Zukunft EU-weit und grenzüberschreitend ihre Anliegen schneller und einfacher mit Behörden klären können. Und auch für die Leistungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten und der EU als Ganzes sind digitale und vor allem vernetzte Prozesse wichtig, um in Zeiten des Fachkräftemangels und auch in globalen Krisensituationen schnell und sicher handlungsfähig zu sein.
Die EU stärkt deshalb die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung gezielt, sowohl mit eigenen Schlüsselprojekten als auch mit Förderprogrammen. Im Fokus stehen dabei die Interoperabilität zwischen den Systemen der Mitgliedsstaaten, das Once-Only-Prinzip, digitale Souveränität, gemeinsame Datenräume mit offenen und einheitlichen Standards, sichere digitale Identitäten und der verantwortungsvolle Einsatz von KI.
So wurden bereits mehr als 33 Milliarden Euro aus der Aufbau- und Resilienzfazilität in den unterschiedlichen Staaten für Reformen und den Ausbau digitaler Services eingeplant.
Über das Förderprogramm „Digital Europe“ stehen für den aktuellen Zeitraum von 2023 bis 2024 fast eine weitere Milliarde Euro für Digitalprojekte bereit, unter anderem für Vorhaben zur Erweiterung und weiteren Verbreitung des „Once-Only-Technical-Systems“ (OOTS), das als Rückgrat der europäischen Verwaltungskooperation den Datenaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten möglich machen wird.
Zusammenarbeit steht im Zentrum des digitalen Europas
Die grenzüberschreitende Vernetzung ist eines der Kernvorhaben, mit denen die EU ihren Bürger:innen und den in der Union ansässigen Unternehmen einen einfacheren Zugang zu Verwaltungsleistungen in allen Mitgliedsstaaten ermöglichen will. Interoperabilität ist dabei eines der zentralen Schlagwörter. Um diese sicherzustellen, setzen die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf gemeinsame Standards, modulare Architekturen und den Einsatz von Open-Source-Software.
Darauf haben sich die Mitgliedsstaaten schon 2020 in der „Berlin Declaration“ verständigt, die unter der damaligen deutschen Ratspräsidentschaft entstand. Hier findet sich auch ein klares Bekenntnis zu quelloffener Software und Daten:
„Software, data and tools generated by the public sector should be reusable and openly accessible as long as this is compliant with fundamental rights”.
Wie wichtig Open-Source-Software für den Aufbau gemeinsamer europäischer Systeme ist, konnten wir bei publicplan auch selbst im Rahmen unserer Beteiligung an einem Pilotprojekt zur Vernetzung deutscher und niederländischer Register zeigen. Die hierfür nötige Software zur Verknüpfung des Wirtschafts-Service-Portal.NRW mit dem niederländischen Business Register entwickelten wir auf Basis der Open Source Referenzimplementierung „Domibus“, die von der Europäischen Kommission zur Verfügung gestellt wird. (Mehr zu diesem Projekt in unserem Blogartikel zur SDG-Verordnung).
Deutschland als Schlüsselakteur
Für eine leistungsfähige digitale Verwaltungsarchitektur in Europa ist eines klar: Es geht nicht ohne Deutschland. Denn als bevölkerungsreichstes Land der Europäischen Union und größte der 27 Volkswirtschaften nimmt Deutschland eine Schlüsselposition ein.
Aktuell zählt Deutschland nicht zu den Digital-Vorreitern innerhalb der EU. Beim letzten eGovernment Benchmark der Europäischen Kommission schnitt Deutschland mit 65 Punkten sogar schlechter ab als der EU-Durchschnitt von 70. Umso wichtiger ist es, dass wir die zentralen Projekte der digitalen Verwaltung in Deutschland vorantreiben und immer auch die europäische Perspektive mitdenken.
Vor allem mit der Registermodernisierung, die in diesem Jahr in ihre nächste Phase eintritt, steht ein großes Hebelprojekt an. Denn die hunderten von Registern auf den unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung in Deutschland werden nicht nur für den Austausch unter nationalen Behörden ertüchtigt, sondern eben auch für die Einbindung in EU-weite Dienste.
Wir freuen uns, dass wir als publicplan unter anderem als Teil des schon oben erwähnten Pilotprojekts Teil dieses spannenden Vorhabens sein können. Denn: Es liegt auch an uns IT-Dienstleistern, smarte Lösungen zu finden und über den deutschen Tellerrand hinauszublicken, um die Vision einer starken digitalen Verwaltung in ganz Europa wahr werden zu lassen, die Bürger:innen und Unternehmen echte Vorteile bringt.
2024 – ein entscheidendes Jahr für Europas digitale Zukunft
Es zeigt sich also: Es wird ein spannendes Jahr für das digitale Europa. In Deutschland werden entscheidende Schritte gemacht, um fit zu werden für eine Zukunft, in der Daten zwischen Behörden im In- und Ausland fließen. Damit es Bürger:innen und Unternehmen einfacher haben und Ressourcen sowohl bei Antragsstellenden als auch in den Behörden sparen zu können.
In Europa werden zentrale Projekte unterstützt und vorangetrieben. Nicht ungenannt bleiben sollte dabei der „Interoperable Europe Act“. Mit diesem europäischen Rahmenwerk sollen neue Leitlinien, Vorgaben und Standards festgelegt werden, die eine Zusammenarbeit über Grenzen hinweg vereinfachen und fördern. Aktuell befindet sich der Interoperable Europe Act im sogenannten Trilog, also der Abstimmung zwischen dem Rat der EU, dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission.
Und nicht zuletzt ist 2024 Wahljahr: Rund 350 Millionen Wahlberechtigte Bürger:innen wählen in den 27 Mitgliedsstaaten Anfang Juni ihre Abgeordneten für das Europäische Parlament. Die Digitalisierung als großes Transformationsthema unserer Zeit dürfte auch im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen. Aus diesem Anlass werden wir uns in unserem Blog auch in den kommenden Monaten öfter mit Themen der europäischen Verwaltungsdigitalisierung auseinandersetzen.
Wir blicken gespannt auf dieses entscheidende Jahr für Europas digitale Zukunft!