Im kürzlich veröffentlichten Positionspapier "Digitalpakt Deutschland" schlägt der Bitkom vor, insgesamt 100 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 5 Jahren für die Digitalisierung des Landes einzusetzen. Besonders relevant für die öffentliche Verwaltung, denn 10 Milliarden Euro sollen speziell für die Verwaltungsmodernisierung bereitgestellt werden. Dabei formuliert der Bitkom zwei zentrale Anforderungen: Jede Maßnahme muss "investiven Charakter" haben und nicht primär konsumtiv sein, und das übergeordnete Ziel ist, "Deutschland zu einem digital souveränen Land zu machen".
Diese beiden Anforderungen im Positionspapier – investiver Charakter und digitale Souveränität – sind eng miteinander verknüpft und können in der Praxis am besten durch eine konsequente Open-Source-Strategie für die öffentliche Verwaltung umgesetzt werden. Wir als publicplan sind auf Open-Source-Lösungen für die öffentliche Verwaltung, spezialisiert und genau deshalb erläutern im Folgenden die Argumente, warum nur Open-Source-Software (OSS) beiden Anforderungen vollumfänglich gerecht werden kann, geben Praxisbeispiele und Handlungsempfehlungen.
Zu Anforderung 1: Warum nur Open Source wirklich "investiv" ist
Eine Investition im wirtschaftlichen Sinne schafft langfristig Werte, baut Vermögen auf und generiert einen "Return on Investment". Betrachten wir verschiedene Softwaremodelle unter diesem Aspekt:
Proprietären Lizenzmodelle:
Bei klassischen Lizenzmodellen erwirbt die Verwaltung lediglich das Recht, eine Software zu nutzen. Obwohl die Kosten einmalig anfallen können, bleibt die Verwaltung vom Herstellenden abhängig: für Updates, Support und Weiterentwicklungen fallen regelmäßig weitere Kosten an. Der investive Charakter ist begrenzt, da kein eigenes Vermögen aufgebaut wird.
SaaS / Abo-Modelle:
Software-as-a-Service (SaaS) und Abonnement-Modelle berechnen regelmäßige Nutzungsgebühren ohne Vermögensaufbau. Diese Modelle sind definitionsgemäß konsumtiv – es handelt sich um laufende Betriebskosten, die dem von der Bitkom geforderten "investiven Charakter" grundsätzlich widersprechen. Die Abhängigkeit vom Anbietenden ist noch größer als bei Lizenzmodellen, da dieser jederzeit Preise ändern oder Funktionen anpassen kann.
Open-Source-Software:
Bei Open-Source-Software erhält die Verwaltung nicht nur Nutzungsrechte, sondern auch vollständigen Zugriff auf den Quellcode. Die initialen Kosten für Implementierung, Anpassung und Schulung stellen eine echte Investition dar, die langfristige Werte schafft:
- Die Software kann unabhängig vom ursprünglichen Anbietenden weiterentwickelt werden.
- Einmal entwickelte Funktionen können ohne Mehrkosten in anderen Behörden wiederverwendet werden.
- Die Verwaltung baut eigene Kompetenz und digitale Fähigkeiten auf.
- Es entsteht ein tatsächlicher Vermögenswert in Form von Code, Know-how und digitaler Infrastruktur.
Die finanziellen Vorteile von Open Source sind signifikant: Entwickler:innen müssen keine Lizenzkosten tragen, profitieren von regelmäßigen Systemupdates und können auf die Unterstützung spezialisierter Communities zurückgreifen.
Die Gemeingut-Argumentation
Wenn öffentliche Gelder in Software investiert werden, sollte idealerweise ein öffentliches Gut entstehen, das allen Bürger:innen sowie anderen öffentlichen Einrichtungen zugute kommt. Open-Source-Software erfüllt diesen Anspruch: Einmal mit Steuergeldern entwickelt oder angepasst, kann sie von beliebig vielen anderen Behörden ohne zusätzliche Lizenzkosten genutzt werden.
Dies maximiert den gesellschaftlichen Nutzen der Investition und verhindert die mehrfache Finanzierung gleicher Funktionalitäten durch verschiedene öffentliche Stellen – ein klarer "Return on Investment" im Sinne der Bitkom-Forderung.
Unser Vorschlag: Mehrwertsteuer-Vorteil bei OSS
Wenn durch die Investition in Open-Source-Software Gemeingut entsteht, führt das direkt zu einem weiteren Vorschlag von uns: Bei der Beauftragung von Dienstleistungen zur Anpassung und Implementierung von OSS sollte unter bestimmten Voraussetzungen der reduzierte Mehrwertsteuersatz anwendbar sein. Dieser steuerliche Vorteil unterstreicht den investiven Charakter von OSS-Projekten und erhöht die Kosteneffizienz öffentlicher IT-Vorhaben.
Zu Anforderung 2: Open Source als Grundlage digitaler Souveränität
Digitale Souveränität bezeichnet die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln und Entscheiden im digitalen Raum. Für die öffentliche Verwaltung bedeutet dies insbesondere die Unabhängigkeit von einzelnen Technologieanbieter:innen, Kontrolle über eigene Daten und Prozesse und technologische Selbstbestimmung und Gestaltungsfähigkeit.
Laut der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) hat digitale Souveränität viele Facetten, besonders wichtig sind jedoch die technologische Souveränität und die Datensouveränität. Als zentrale Hebel zur Stärkung dieser Facetten werden der Einsatz von Open-Source-Software und offenen Standards betrachtet.
Herausforderungen bei proprietärer Software
Proprietäre Software und Cloud-Dienste großer Technologiekonzerne stellen die digitale Souveränität vor erhebliche Herausforderungen:
- Vendor Lock-in: Die Abhängigkeit von einzelnen Anbietenden macht einen Wechsel technisch komplex und wirtschaftlich kostspielig.
- Fehlende Transparenz: Der geschlossene Quellcode verhindert die Einsicht in die tatsächliche Funktionsweise der Software.
- Begrenzte Anpassungsfähigkeit: Spezifische Anforderungen der öffentlichen Verwaltung können oft nur im Rahmen der von Anbietenden vorgegebenen Möglichkeiten umgesetzt werden.
- Datenschutzbedenken: Insbesondere bei Cloud-Diensten entstehen rechtliche und sicherheitstechnische Unsicherheiten bezüglich der Datenverarbeitung.
Vorteile von OSS für die digitale Souveränität
Das Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung (ZenDiS) unterstreicht die Bedeutung von OSS für die digitale Souveränität: "Das Zentrum für Digitale Souveränität soll die öffentliche Verwaltung unabhängiger von Big Tech und einzelnen Herstellern machen... Open-Source-Software (OSS) für öffentliche Stellen soll dafür sorgen, dass Verwaltungen nicht an das Ökosystem des einzelnen Anbietenden gebunden sind und hohe Lizenzkosten für Software sparen können." Lesen Sie dazu auch unser Interview mit Dr. Ralf Kleindiek (ehem. ZenDis-Geschäftsführer). Open-Source-Software bietet entscheidende Vorteile für die digitale Souveränität:
- Technologische Transparenz: Der offene Quellcode ermöglicht vollständige Einsicht in die Funktionsweise und verhindert versteckte Funktionen.
- Anpassungsfähigkeit: Die Software kann präzise an die spezifischen Anforderungen der Verwaltung angepasst werden, ohne von den Priorisierungen kommerzieller Anbietender abhängig zu sein.
- Unabhängigkeit von einzelnen Anbietenden: Bei OSS-Projekten besteht die Möglichkeit, den Dienstleister zu wechseln, ohne die gesamte Software austauschen zu müssen. Dies stärkt die Verhandlungsposition der öffentlichen Hand.
- Kontrolle über Daten und Prozesse: Datensouveränität wird durch die vollständige Kontrolle über Datenspeicherung und -verarbeitung gewährleistet.
- Langfristige Verfügbarkeit: Selbst wenn Anbietende vom Markt verschwinden, bleibt der Quellcode verfügbar und kann weiter genutzt werden.
Praxisbeispiele und Handlungsempfehlungen
Diese Vorteile von Open-Source-Software zeigen sich bereits in zahlreichen erfolgreichen Projekten in der öffentlichen Verwaltung. Darunter das openDesk-Projekt des ZenDiS, das einen souveränen Arbeitsplatz mit "alternativen Tools zu gängigen Textverarbeitungs- und Kollaborationsanwendungen" entwickelt und ab 2025 bundesweit ausrollen will. Ein weiteres Beispiel ist die OpenCoDE-Plattform, auf der Quelltext zu staatlicher Software freizugänglich gemacht wird.
Konkrete Handlungsempfehlungen für Entscheider:innen
Um die 10 Milliarden Euro des Digitalpakts für die Verwaltungsdigitalisierung wirklich investiv und souveränitätsfördernd einzusetzen, empfehlen wir:
- Open-Source-First-Strategie verabschieden: Etablierung eines klaren Vorrangs für OSS bei Beschaffungen mit der Möglichkeit, begründete Ausnahmen zu machen.
- Beschaffungsprozesse anpassen: Überarbeitung der Vergaberichtlinien, um OSS-Lösungen faire Chancen einzuräumen und den investiven Charakter stärker zu berücksichtigen.
- Kompetenzaufbau fördern: Gezielte Aus- und Weiterbildung für IT-Personal in der Verwaltung zu OSS-Technologien.
- Behördenübergreifende Zusammenarbeit stärken: Schaffung organisatorischer und technischer Strukturen, die die gemeinsame Nutzung und Weiterentwicklung von OSS-Lösungen erleichtern.
- Open-Source-Governance etablieren: Die KGSt betont, "wenn Verwaltungen nachhaltig und wirkungsvoll mehr Open-Source-Software einsetzen wollen, braucht es ein kommunales Management, das den OSS-Einsatz umfassend in den Blick nimmt. Wir sprechen von einer Open-Source-Governance."
Fazit
Die von dem Bitkom geforderten 10 Milliarden Euro für die Verwaltungsdigitalisierung bieten eine historische Chance, die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung nachhaltig zu gestalten. Um den geforderten "investiven Charakter" sicherzustellen und Deutschland zu einem "digital souveränen Land" zu machen, führt an einer konsequenten Open-Source-Strategie kein Weg vorbei.
Nur Open Source Software ermöglicht es, öffentliche Mittel so einzusetzen, dass echte Werte geschaffen werden, die langfristig Bestand haben und allen Bürger:innen zugutekommen. Gleichzeitig bildet OSS das Fundament für technologische Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Kontrolle im digitalen Raum- die Kernelemente digitaler Souveränität.