E-Government
Vom:
4.8.2023

Todesstoß für das deutsche E-Government?

Autor:in
Dr. Christian Knebel
Ein Kommentar aus gegebenem Anlass: Was sagt unser CEO zum Digitalbudget der Bundesregierung?

Kaum liegt er vor, löst er schon verheerende Kritik aus. Die Bundesregierung hat ihren Haushaltsentwurf für die Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen vorgelegt und erntet einen Shitstorm, der sich gewaschen hat. Nach den bisherigen Plänen der Regierung geht es darum, für das kommende Jahr nur noch 3,3 Millionen Euro auszugeben, in diesem Jahr standen dagegen noch 377 Millionen Euro für Digitalisierungsleistungen zur Verfügung.  

Auch wenn der Bundestag in Haushaltsfragen das letzte Wort hat und sich bereits jetzt abzeichnet, dass der Regierungsentwurf nicht das letzte Wort ist, finde ich: Die Kürzung ist ein falsches Signal. Gleich dazu gesagt, sei aber auch: Die Digitalisierung der deutschen Verwaltung leidet nicht nur unter einer unsteten Finanzierung, die sich mal zu Milliardenbeträgen aufschwingt und dann wieder unter die Millionengrenze absinkt. In den letzten 20 Jahren hat mehr Geld noch nie zu einem spürbar höheren Digitalisierungsgrad der deutschen Verwaltung geführt – das ist die traurige Wahrheit!  

Fakt ist: Erst mit dem OZG sind erhebliche Summen in die Verwaltungsdigitalisierung geflossen, ohne dass dies allein schon einen durchschlagenden Erfolg gehabt hätte. Zwar konnte manches auf den Weg gebracht werden. Aber gemessen an dem selbst gesteckten Ziel der Politik, 575 Leistungsbündel für Bürger und Unternehmen bis Ende 2022 flächendeckend online bereitzustellen, aber dann nur auf 33 zu kommen, zeigt, dass der bisherige Ansatz stecken geblieben ist.

Selbst die angesichts der Corona-Pandemie 2020 locker gemachten 3 Milliarden Euro brachten keinen Durchbruch. Dies lässt sich schon daran ablesen, dass die Mittel alles andere als vollständig abflossen, deswegen gibt es sie auch 2024 noch. Nach einigem Hin und Her wurden auch andere, zum Teil erhebliche Ausgaberesten von 2022 nach 2023 übertragen und seitdem scheibchenweise vom Bund freigegeben. Die Übertragung von nicht verausgabten Mitteln in das nächste Haushaltsjahr soll auch für 2023 / 24 möglich sein. Damit flössen nach Expertenschätzungen rund 300 Millionen Euro ins kommende Jahr.  

Hellhörig macht allerdings der Hinweis des Bundes an die Länder, sich schon jetzt darauf einzustellen, dass sie für die Finanzierung der Verwaltungsdigitalisierung ab 2025 stärker aufkommen müssen.
Dass dies in den strukturell unterfinanzierten Ländern als Zumutung aufgefasst wird, belegt die Drohung aus Schleswig-Holstein aus der gemeinsamen Vereinbarung auszusteigen, die Onlinebeantragung des Wohngeldes federführend für alle Bundesländer im Benehmen mit dem Bund auszuarbeiten. Spätestens dann geht es nicht mehr nur ums Geld, sondern um ein Grundprinzip, auf dass sich der deutsche Föderalismus verständigt hatte, nämlich, dass einer für alle vorangeht und nicht alle gleichzeitig wieder in verschiedene Richtungen laufen.  

Der Bund selbst strukturiert seine Mittel um. Man findet sie nicht mehr allein im zentralen Haushaltstitel des Bundesinnenministeriums, sondern verstärkt in den Einzelhaushalten. Das macht Sinn, denn viele Digitalisierungsprojekte finden wegen der Nähe zur jeweiligen Fachlichkeit in den entsprechenden Ressorts statt.
Gleichzeitig werden die Mittel für die zentrale Koordinierungs- und Vernetzungsstelle für Digitalisierungsvorhaben der öffentlichen Verwaltung (Fitko) auf über 37 Millionen Euro vervierfacht. Daneben bleiben Gelder für die Registermodernisierung (73 Mio.) und digitale Identitäten (40 Mio.) bestehen.  

Es geht also nicht allein um die Höhe der Digitalisierungsmittel. Es geht auch um ihre wirksame Verteilung, ihren zügigen Abfluss und last not least um ihre sinnvolle Verwendung. Auch hier sollten der Bund und die Länder lernen. Wer zurückschaut, stutzt über Millionenprojekte, die keinen oder nur einen sehr geringen Nutzen für die Bürger oder die Unternehmen haben. Dagegen waren die Mitnahmeeffekte bei der Armada aus begleitenden Beratern und den komplexitäts- und kostentreibenden Umsetzern durchaus beträchtlich, aber eben auch vermeidbar.

Große öffentliche Aufmerksamkeit (und viel Geld) floss in der Vergangenheit in die so genannten Basiskomponenten. Stichworte: Digitaler Ausweis, Authentifizierung, Bezahlung, Datenübertragung. Natürlich sind Basistechnologien wichtig und richtig, aber wenn sie kaum genutzt werden und ihre Anwendung technologisch zurückbleibt, spätestens dann sollte man sie aus falschen Prestigegründen nicht länger mit dauerhaft gebundenen Geldern künstlich am Leben halten. Weniger Geld zu haben, bedeutet hier die Mottenkiste der 1990er Jahre endlich fest zu verschließen und sich auf die Entwicklung zentraler, moderner und marktverfügbarer Technologien zu konzentrieren, die mittels offener Schnittstellen und einem sicheren Cloudbetrieb auch wirklich nachhaltigen Nutzen entfalten und zukunftsträchtige Erweiterungen versprechen.  

 

Quelle: Normenkontrollrat

Ebenfalls sinnvoll ist es, die über die Jahre entwickelnden Doppelstrukturen zu überdenken, da sie schon längst nicht mehr Teil der Lösung sind; sie sind mehr und mehr zum Teil des Scheiterns geworden und das Wimmelbild sollte sinnvoll aufgeräumt werden.

Vielleicht helfen die Kürzungen auch, einige groteske Züge des an sich ja sinnvollen EfA-Prinzips zu beenden. So, wenn alle Bundesländer sich aus den Töpfen des Bundes bedienen, um proprietäre OZG-Leuchttürme zu schaffen, die sie dann in anderen Bundesländern ausrollen möchten, um erst dabei zu merken, dass dort schon andere (proprietäre) Technologien im Einsatz sind.
Kommt dann noch die Abhängigkeit von Anbietern proprietärer Software dazu, die Lizenzen, Preise und den Einsatz bestimmter Technologien vorgeben, ist der Schaden groß: Die digitale Souveränität der öffentlichen Verwaltung geht verloren und das gute Geld auch. Dabei hätten die offenen Standards und Schnittstellen viel mehr Potenzial.

Stattdessen finden wir Doppelentwicklungen für viele OZG-Leistungen vor und sehen stockende Rollouts und eben keine bundesweit verfügbaren Onlineleistungen. Leider sind die Chancen von Open-Source-Software in vielen Verwaltungen noch zu wenig bekannt oder es bestehen schlichtweg Unsicherheiten, die Chancen für schnellere Vergaben, individuelle Anpassungen und innovative Lösungen zu nutzen.

Die kleineren Projekte, die Digitalisierung nah am Bürger und nah am Unternehmen realisieren, erreichen jedoch oftmals mehr Nutzen und Wirksamkeit in Relation zum Aufwand als Millionenprojekte, die an große IT-Konzerne gehen und in ihrer Wirkung verpuffen. Es ist also eigentlich Zeit für eine Marktgesundung; es ist Zeit für mehr Mittelstand, und es ist vor allem Zeit für Projekte, die durch ein echtes Zusammenspiel von Auftraggebern und Anbietern, durch die Kooperation und Vernetzung mit Open-Source-Communities OSS-Lösungen ermöglichen.

Doch warum halte ich die geplante Kürzung im Bundeshaushalt trotzdem für ein falsch gesetztes Signal?  

Es ist ein falsches Signal, weil es allein steht und von sich aus nicht die Richtung anzeigt, die Deutschland gehen muss, um seinen Digitalisierungsrückstand (siehe zum Beispiel die schlechte Position im DESI-Index) endlich aufzuholen. Diese Aufholjagd kann nur als längerfristig angelegte Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern (und Kommunen) gelingen; sie muss klug über den IT-Planungsrat konzertiert werden, und sie muss als politische Führungsaufgabe begriffen werden, bei der keiner allein, sondern nur alle gemeinsam gewinnen können.  

Die angekündigten Kürzungen senden aber auch ein problematisches Signal an die junge GovTech-Szene aus Startups und mittelständischen Unternehmen, die mit smarten Lösungen antreten, um dem deutschen Staat aus seiner digitalen Bredouille zu helfen.

Sollte an den kleineren, aber wirksamen und nicht weniger innovativen Projekten gekürzt werden, dann würde dies gerade erst wachsende Netzwerkbildungen und wirklich innovativen Ansätze unwiderruflich zerstören, während die jahrzehntelang etablierten Strukturen im E-Government bestehen blieben.

Die Kürzungsidee darf nicht unfair werden, denn das entmutigt die beteiligten Akteure und bremst die sinnvollen Digitalisierungsbestrebungen.

Schließlich könnten die geplanten Kürzungen als Signal des Rückzugs des Bundes aus einer zentralen Verantwortung ankommen. Die Relevanz von Standardisierungen und bundesweiten Vorgaben für einen erfolgreichen Digitalisierungsprozess ist mittlerweile weithin anerkannt worden, so zeigt es auch das OZG Änderungsgesetz auf.

Auch die Kommunen und Länder fordern eben solche Vorgaben vom Bund schon seit längerem. Und tatsächlich kostet die Implementierung von strategischen Zielen - siehe BundiD - Geld, das vom Bund kommen muss, schon weil es die Länder nicht aufbringen können. Sollte es an dieser Stelle jedoch zu Irritationen kommen, dann verhindert dies die schnelle Ausbreitung digitaler Gesamtlösungen und unsinnige Insellösungen in den Ländern blieben bestehen.  

Fazit

Bei dem großen Streit ums Geld, der in der Politik jetzt anhebt, dürfen aber - wie immer er auch am Ende im Parlament ausgeht - einige Aspekte nicht übersehen werden, die mir selbst am Herzen liegen:  

  1. Digitale Fortschritte dürfen nicht verloren gehen. Engagierte Länder und Kommunen, die an messbar erfolgreichen Projekten arbeiten, dürfen nicht durch willkürliche Mittelkürzungen zurückgeworfen werden.
  2. Startups und KMU sind stärker in den Prozess der Verwaltungsdigitalisierung zu integrieren; dafür braucht es übrigens keiner dreistelligen Millionenbudgets, sondern etwas mehr Zuwendung und verbesserter Kooperation - also eines Kulturwandels, der mit Geld allein gar zu bezahlen ist!  
  3. Open Source und digitale Souveränität gehören zusammen. Namentlich das Zentrum für Digitale Souveränität der öffentlichen Verwaltung (Zendis) muss mit ausreichenden Mitteln ausgestattet sein. Denn die Abhängigkeit zu großen IT-Anbietern waren und sind das Kernproblem zu hoher Kosten der öffentlichen Hände bei der Digitalisierung von staatlichen Dienstleistungen. Diese Abhängigkeit ist aber auch der Hemmschuh für digitalen Fortschritt, der den Bürgern und Unternehmen unseres Landes dient!

Weitere Berichterstattung und Kommentare zu dem Thema:

Ohne Geld ist die Digitalisierung nichts, FAZ am 04.08.2023

Haushaltsplan der Ampel: Digitalwirtschaft kritisiert Sparpläne, FAZ am 02.08.2023

Digitalisierung: Ampel-Koalition plant drastische Kürzung - DER SPIEGEL am 02.08.2023

Sparen bei der Digitalisierung? Ein fataler Fehler, golem IT-News am 03.08.2023

Digitalhaushalt: Das steckt hinter den Kürzungen - Tagesspiegel Background am 03.08.2023

Kaum Geld für die Digitalisierung : Der Bund geizt, die Länder sind verärgert, Tagesspiegel am 04.08.2023

Digitale Verwaltung wird auf Diät gesetzt | OSBA – Open Source Business Alliance am 03.08.2023

Verwaltungsdigitalisierung von oben - ohne Finanzierung?, Databund am 03.08.2023

Digitalisierung: Wirtschaftsweise nennt Kürzung der Mittel falsche Entscheidung, Der Spiegel am 03.08.2023

Digitalisierung der Verwaltung: Widerstand gegen geplante Kürzungen des Innenministeriums, Der Spiegel am 03.08.2023

Digitalisierung der Verwaltung: „Mehr Geld allein wird nicht helfen“, Stern am 03.08.2023

Onlinezugangsgesetz: Grüne fordern Kehrtwende bei Digitalisierungskürzungen, golem IT-News am 04.08.2023

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